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Einige Bilder und Schülertexte finden Sie downloadbar in hoher Auflösung hier Gestadeck Times – Die erste Schülerzeitung im Internet kommt aus LiestalDie erste Homepage von Schweizer Primarschülern stammt aus Liestal. 1998 kam die Klasse von Andreas Saladin aufs Netz. Heute gehört das Gestadeck-Schulhaus dank dieser Pionierleistung zu den innovativsten Schulen Europas und kam in Rom am Global Junior Challenge als einzige Schweizer Schule ins Final. Im Netz findet man die kreative Primarklasse unter http://gestadeck.swissportal.ch. Wie alles begann Im Herbst 1997 konfrontierten mich zwei Väter mit dem Vorschlag, Internet in der Primarschule einzusetzen. Ich muss gestehen, dass ich der Idee skeptisch gegenüberstand. Im Jahr 1997 war Internet erst wenigen bekannt und man begab sich als Lehrer mit solchen Ideen noch auf pädagogisches Glatteis. Es gab weder Vorbilder, noch eine behördliche Legitimation, schon 7-12 jährige mit diesem Thema zu konfrontieren. Die erste deutschschweizer Primarklasse im Netz? Erlebnisse mit Lebendem, Basiserfahrungen, sind und bleiben in einer Welt, die zunehmend aus zweiter Hand lebt, immer wichtiger. Fernsehen, Video zwingt uns zum Konsumieren. Und jetzt noch Internet an der Primarschule? Die Primarschule heisst mit Recht auch Grundschule. Es geht um Grundsätzliches. Lesen, Schreiben, Rechnen als alte Kulturtechniken müssten Priorität behalten. Wer alles will, kann nichts mehr richtig. (PISA lässt grüssen). Immer mehr Bereiche einer komplexer werdenden Gesellschaft buhlen um die Unterstützung der Schule. Medienerziehung, Gesundheitserziehung, Verkehrserziehung, Sexualerziehung sind dazu nur einige Stichworte. Dies war ein Strang der Argumentation, die mich umtrieb. Auf der anderen Seite musste ich mir eingestehen: Es nützt den Kindern nichts, wenn ihr Lehrer den Kopf in den Sand steckt und über die neue Welt schimpft. Nur indem wir uns den Herausforderungen stellen, sind wir in der Lage, die rollende Entwicklung positiv mitzuprägen. Der Mensch hat den technischen Fortschritt immer gewählt. Ich selber fand mich im Spannungsfeld zwischen Technikbegeisterung und Wertefragen wieder. Als Pädagoge war ich besonders gefordert. Wird das Internet meinen Lernenden nützen? Die Frage war komplizierter, als dass ich sie mit Ja oder Nein beantworten konnte. Es gibt zwischen schwarz-weiss auch Farbtöne. Es galt Neuland zu entdecken. Das trieb mich vorwärts. Die Gedanken zu einer pädagogischen Sinngebung verfolgten mich ein weiteres halbes Jahr. Schnell war Mai 1998 und mir war klar geworden, wie ich diese Idee in der Schule umsetzen könnte. Da ich keine grosse Bürokratie mit Bewilligungen und vielen Sitzungen vom Zaune reissen wollte, entschloss ich mich, das Projekt Internet innerhalb eines pädagogischen Freiraumes anzubieten. In unserer jährlichen Projektwoche bietet sich die Möglichkeit Neues auszuprobieren. Jede Lehrkraft wählt ein Thema, welches sie klassenübergreifend bearbeiten kann. Nach einer weiteren Sitzung mit den Vätern standen ein Konzept, die Zielformulierung und die Termine fest. Jetzt wusste ich, was ich wollte. Pädagogische Ziele:
Es ging mir um einen kreativen Umgang mit dem neuen Medium. Nicht Konsumieren war gefragt, sondern aktives Gestalten. Das pragmatisch gesetzte Ziel war klar: In fünf Tagen musste eine fertige Homepage auf dem Netz stehen. Es sollte die erste Arbeit sein, die sich mit 7-11 jährigen an ein solches Projekt wagt und durch die Qualität eine erste Referenz setzen. Dem hatte sich Freizeit, Schlaf und vielleicht auch die Vernunft unterzuordnen – (meine Rücken- und Nackenschmerzen seien hier der Vollständigkeit halber aufgeführt). Sechs PC’s waren schnell aus den Firmen der Väter organisiert. Als Telefonleitung wurde zum Leidwesen unserer Sekretärin unser Schulhausfax missbraucht. Ein simples Kabel durch zwei Kippfenster verlegt, verband uns später mit der neuen, grossen weiten Welt. Ich stellte ein Wochenprogramm auf, das ich im Rückblick keinem anderen Lehrer zumuten möchte. Neben diesem Projekt war für nichts anderes mehr Zeit, ins Bett kam ich oft erst gegen drei Uhr morgens. Im Juni 1998 war unsere „Gestadeck-Times“ nach einer der intensivsten, aber auch spannendsten Schulwoche, die ich je erlebt habe, online. Schon wenig später begann die öffentliche Wahrnehmung:
Internet auf der Primarschulstufe Zur Zeit ist die Verwendung von IT (Informationstechnologien) im Lehrplan auf der Primarschule noch nicht vorgeschrieben. Im Kanton Baselland wird im Moment an der Integration von Informationstechnologien in die Primarschule gearbeitet. Es liegt in der Methodenfreiheit des Lehrers, Medien sinnvoll für das Lernen einzusetzen. So geschieht dies in meiner Klasse seit 1998 unter anderem mit Computer. Daraus eine Forderung an andere Lehrer abzuleiten, wäre unzulässig und auch nicht sinnvoll. Die Einbindung in den Unterricht sehe ich persönlich durchaus als sinnvoll. Der Computer ist und bleibt dabei aber Hilfsmittel. Eigene Texte zu Erlebnissen können getippt und ins Internet gestellt werden. Schüler freuen sich, ihre Bilder und Texte im Netz wiederzufinden, ihren Eltern etwas aus der Schule präsentieren zu können. Der Austausch mit anderen Klassen brachte uns wertvolle Kontakte nach Deutschland und Australien. Anlässlich der Olympiade in Sydney wurden meine Kinder Netzreporter. Ihre Kameraden in Sydney befragten dann einen Sportler vor Ort. Das Internet besorgte die „Übersetzung“. Der grosse Wert des Mediums liegt für die Lernenden darin, selber aktiv zu werden und sich mitzuteilen. Geschichten über Erlebtes schreibt man nicht mehr nur für den Rotstift des Lehrers, sondern für interessierte Menschen, die uns darauf antworten. Wer hat Angst vor dem Internet? Die Ängste, die Internet bei Erziehenden auslösen, beruhen meist auf zu wenig Sachkenntnis. Interessanterweise stellen zweifelhafte Websites nach meiner Wahrnehmung keine wirkliche Gefahr dar. Das sind eher Schreckgespenster der Erwachsenen als Wirklichkeit der Kinder. Kinder surfen zu Lego, Basketball oder Popstars, nicht aber zu Porno- und gewaltverherrlichenden Seiten. Gegenseitige Offenheit und vorallem Vertrauen sind die Basis für das gemeinsame Abstecken der Grenzen. Durch Ignorieren haben Pädagogen weder Fernsehen, GameBoy, noch Pokemon verhindert. Die Verantwortung der guten Nutzung liegt bei uns Erwachsenen. Dies stellt Erziehende aber vor neue Probleme. Die nötige Zeit für eine Begleitung ist oft nicht vorhanden. Negieren oder Verbieten löst aber nichts, sondern schafft neue Probleme. Die Schule könnte hier unterstützend zur Seite stehen. Nicht ohne einen Anflug von Stolz können wir heute auf eine fünfjährige Internetpräsenz verweisen, die ohne einen Franken Gemeinde, Kantons- oder Bundesgelder gewachsen ist und lebt. Das Stichwort „Gestadeck“ ist heute weltweit über 480 Mal anzugoogeln (=mit der Suchmaschine „Google“ zu finden) und erreicht eine virtuelle Präsenz in der Bildungslandschaft, die erstaunt. Dass all dies nur durch viel Hartnäckigkeit und Arbeit möglich ist, spricht für die Technologie des Internets. Viele europäische Länder und insbesondere Amerika arbeiten seit Jahren daran, ihre Grundschulen an die Zukunft anzuschliessen und auszurüsten für den weltweiten Bildungswettbewerb – und dies mit grossem finanziellen Engagement. Es ist eine Frage der Prioritäten. Da gibt es in der Schweiz und insbesondere im Baselbiet noch viel zu tun – sehr viel zu tun.
Andreas Saladin, Lehrer, Autor dieses Beitrages und Erfinder/Administrator von Gestadeck Times (http://gestadeck.swissportal.ch) |