Gestadeck Times European Network of Innovative Schools
die elektronische Zeitung von Primar-Schüler/Innen
 

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Artikel für INTERFACE  Nr. ..3/99 

Gestadeck Times – ein Internetprojekt mit 7-11jährigen

http://gestadeck.swissportal.ch

  Das Team, 16 Kinder von 7-11 Jahren

 

Jedes Jahr führt unser Schulhaus eine Projektwoche durch. Nachdem ich im Vorjahr mit einer Gruppe von 7-11jährigen das Thema: „Erlebnisse in der Natur“ wählte, spürte ich den Wunsch, einmal etwas ganz Neues auszuprobieren. Im Herbst 1997 kam die Idee zur Welt, Internet auf der Primarschule auszuprobieren.

Ziele:

Ausloten der Chancen und Grenzen von Internet in der Primarschule, Kinder nutzen Internet als Zweiwegkommunikation, Kreativität, Texten, Fotografieren und Diskutieren

 Andreas Saladin, Autor dieses Beitrages und Webadministrator von http://www.gestadeck.force.ch

Vorgeschichte

Herbst 1997 1. Sitzung mit Urs Pfund und Dani Mueri, zwei Väter von Schülern
Idee zu einer Internetarbeit in der Primarschule

Die Idee, Internet in die Primarschule zu bringen, war schnell ausgesprochen. Wie transferiert man dies jedoch in  diese Stufe, wie begründet man das pädagogisch und wie rechtfertigt sich diese Arbeit im Blick auf unseren Lehrplan? Diese Gedanken begleiteten mich ein halbes Jahr, ohne das viel Nennenswertes geschah. (Manche sagen, das sei die kreative Ruhe vor dem Sturm.)

Sendepause, dazwischen Email-Verkehr, Vorplanung nur über Email!

Einige Male verkehrte ich, als absoluter Anfänger, mit den Vätern per Email. Ich liess mir sogar einzelne Probleme der Homepage Programmierung per Email erklären. Noch gut erinnere ich mich an meine erste Frage: Wie kommt ein Bild in meine Homepage? Ich sehe nur eine Fehlermeldung! Der Autodidakt in mir liess aber keine Ruhe, bis ich die Geheimnisse der Web-Programmierung  einigermassen beherrschte.

 

Schnell war Mai 1998 und mir war klar geworden, wie ich diese Idee in die Schule transportieren könnte. Da ich keine grosse Bürokratie mit Bewilligungen und fruchtlosen Sitzungen vom Zaune reissen wollte, entschloss ich mich, das Projekt Internet innerhalb unserer jährlichen Projektwoche anzubieten. Da bietet sich die Möglichkeit in grosser Freiheit etwas Neues auszuprobieren.

Mai 1998 , zweite und letzte (!) Sitzung mit den Vätern: meine Konzeptpräsentation, Zielformulierung und Terminfestlegung

Jetzt wusste ich, was ich wollte. Ich stellte ein Wochenprogramm auf (an dem ich nachher fast in die Knie ging). Sechs PC’s waren schnell aus den Firmen der Väter organisiert. Als Telefonleitung wurde unser Schulhausfax missbraucht. Ein simples Kabel durch zwei Kippfenster verlegt, verband uns später mit der grossen weiten Welt.

Schulhausbegehung, Raumabklärung

Als Raum kam eigentlich nur das Klassenzimmer einer Kollegin in Frage, weil es neben dem Lehrerzimmer lag, wo sich auch der einzige Telefonanschluss unseres 110 jährigen Schulhauses befindet. Glücklicherweise war meine Kollegin einverstanden, die Zimmer für diese Woche zu tauschen.

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Aufstellen von 6 PC's mit Server

Zwei Autos gefüllt mit Kabeln, Tastaturen, Bildschirmen, Mäusen und ähnlichem fuhren Samstag morgens um acht vor und wir stellten alle PC’s auf und vernetzten sie untereinander mit einem Server, der die Telefonleitung stellte. Sechs Stunden vergingen, bis alles klappte und sich die PC’s tatsächlich wie ein Netzwerk benahmen.

 

TAGEBUCH

Das folgende Tagebuch habe ich während der anstrengenden Woche manchmal jeweils um zwei Uhr früh getippt. Ich gebe es hier ohne redaktionelle Überarbeitung und unzensiert weiter:

08.00 Beginn Projektwoche

Vorstellen: Wir spinnen mit Schnur ein Netz, das Netz dient der Veranschaulichung des WWW

internet3.jpg (20411 Byte)internet2.jpg (21331 Byte)

Was wissen wir? Was tun wir in dieser Woche

Gruppe A: Bilder aufnehmen mit Digitalkamera

Gruppe B: Ich unterrichte die Halbklasse im Programm Power Goo

Kinder verfremden ihre eigenen Porträts      mmaegli0.jpg (11963 Byte)   marcm2.jpg (16260 Byte)
13.45 Ausdruck auf Folie und drucken, bügeln
Weiterarbeit für mich in der Schule bis 20.30 (müde, anstrengendster Kurs ever made...)

22.15 Schreibe diese Zeilen ...

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9.6.98 Technische Probleme lösen vor 8 Uhr!

08.00 Kinde stürmen die Bude, mit Mühe kann ich sie vom PC abhalten, Kreisgespräch, Tagesablauf

Redaktionssitzung 1
Was kommt in unsere elektronische Zeitung?
Sammeln von Ideen, Wandtafel logischer Aufbau festhalten

Kennen lernen des Netscape Browsers

09.00 Erste Reportageteams bilden, 1.Gruppe geht ins Stedtli mit dem Auftrag, Leute zum Internet zu befragen.
interpfund.jpg (21142 Byte)
09.00 Netscape Navigator kennen lernen, Begriffe "Link, WWW, surfen, Email, Internet klären
internet4.jpg (20188 Byte)
10.00 Kinder schreiben erste Albumeinträge, binden ihre Fotos vom Vortag ein

12.00 Mittagspause für mich: 15 Minuten , Arbeit häuft sich, Texte liegen vor, ungeordnet, ungesichert...

16.00-02.00 Ich arbeite zu Hause bis Morgens um zwei! Setze die ganze Arbeit auf FrontPage auf, verknüpfe mittlerweile 2 Megabyte Daten. Probleme noch und nöcher.

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10.6.98 8-9 Halbklasse: Email schreiben, und empfangen

9-11 Ganzklasse: ziemlich chaotisch, sollte überall gleichzeitig sein

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11.6.98 8-9 Halbklasse: es läuft ziemlich gut, Surfen im Netz ist angesagt. Kinder lösen leichte Suchaufgaben, wie Lego Homepage finden in einer Suchmaschine.

9-11 Ganzklasse: Habe den Überblick verloren, einige Kinder haben zuwenig Arbeit, andere zuviel. Kinder übernehmen Mitverantwortung, lösen Probleme auf eigene Faust!

13.00 - 02.30 Uhr: Arbeit bis halb drei früh!!! Fragt mich nicht mehr, was ich da alles tat... Ich habe es vergessen. (13 1/2 Stunden ???)...

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12.6.98 8-9 Letzter Tag! Endspurt

Letzte Bilder einlesen, bei zwei Kindern helfe ich tippen, sie diktieren

9-11 Uhr Ganzklasse: Mittlerweile sind 8 PC's einsatzbereit. Da 3 in einem weit entfernten Raum stehen, kann ich nicht immer schnell genug helfen, es entstehen Meldeläufer, die meine Anweisungen übermitteln.

Pause fällt einmal mehr flach, Kaffee wird mir an den PC gebracht, wenigstens etwas!

(erträglicher mit 8 Kindern) 16 Kinder sind eigentlich zuviel für eine Lehrperson. Te...

... Abbruch des Tagebuches

AUS: WWW.GESTADECK.FORCE.CH/wochenpr.htm

Meine Eltern-Infos zur Homepage:

Liebe Eltern, liebe Besucher

Wollen Sie nähere Hintergründe zur Entstehung dieser Homepage erfahren, so klicken Sie auf "Kurzpräsentation".

Sie sehen auf dieser Homepage das Resultat einer einwöchigen Arbeit von 16 Primarschüler, Schülerinnen und mir. Meine Stunden an Vor- und Nachbereitung sind - ehrlicherweise gesagt - nicht mehr zu zählen, da die technischen Probleme und die angelieferte Informationsflut meiner Redaktoren mich beinahe erdrückten.

Auch manche Diskussionen über Sinn und Unsinn dieses Projektes mit meiner Frau waren nötig. Erlebnisse mit Lebendem, Basiserfahrungen, sind in einer Welt, die zunehmend aus zweiter Hand lebt, immer wichtiger. TV, Video zwingt uns zum Konsumieren. Und jetzt noch Internet??
Sollte man dieses Projekt deshalb fallen lassen? - 
Ich meine - trotzdem - nein.

Es nützt nichts, den Kopf in den Sand zu stecken und über die neue Welt zu schimpfen. Nur indem wir uns den Herausforderungen stellen, sind wir in der Lage, die Entwicklung mitzuprägen.

Der Mensch hat den technischen Fortschritt immer gewählt. Da gibt es meines Wissens kein anderes Beispiel in der Geschichte.

Lassen Sie mich als Beispiel das Auto erwähnen. Kaum wurde es erfunden, eroberte es die Welt. Ist es ein Fluch oder ein Segen? So plakativ diese Frage ist, so unsinnig ist sie auch.

Die gleiche Frage stellt sich beim PC und dem Internet. Wird es dem Menschen nützen oder schaden? Die Welt ist komplizierter, als dass man diese Frage mit Ja oder Nein beantworten kann. Es gibt nicht nur schwarz oder weiss, dazwischen liegen viele Nuancen.

Es geht mir um einen kreativen Umgang mit diesem Medium. Nicht stumpfes Konsumieren ist gefragt, sondern aktives Mitgestalten, Diskutieren, Reportagen durchführen und tippen. All das geschieht und geschah in dieser Woche.

Ein lohnender Aufwand, wie ich meine.

Was denken Sie?

Diese Projektwoche ist als Versuch angelegt. Schlüsse ziehen ist nötig, werten und bewerten auch. Diese Arbeit will ich in den nächsten Wochen noch angehen. Dazu können sie mir helfen, indem Sie ein Feedback abgeben...             

AUS: WWW.GESTADECK.FORCE.CH/infowebadmin.htm

Die Woche war sehr intensiv. Die Arbeit mit 16 Erst- bis Fünftklässlern übersteigt – das sei ehrlicherweise eingeräumt – die Kapazität einer einzigen Lehrkraft. Die 16 Schüler und Schülerinnen haben aber auf einer ganz unerwarteten Ebene viel gelernt. Was tut man, wenn der Lehrer selbst mit 100 Problemen beschäftigt ist? Man organisiert sich selbst! Dies war für mich eine der interessantesten pädagogischen Erfahrungen dieser Woche. Fünftklässler übernahmen die Verantwortung für eine Gruppe und plötzlich waren 5 Schüler verschwunden. Sie führten selbstständig Interviews im Städtli durch. Die Fragen haben sie vorher im Gang selber ausgetüftelt.

Ich kam täglich auf zwischen 4 und 6 Stunden Schlaf, der Rest war Arbeiten.

Hilfe hatte ich während der Woche keine für die Schülerbetreuung.

Das gesetzte Ziel war klar: In fünf Tagen muss eine fertige Homepage auf dem Netz stehen. Es sollte die erste Arbeit sein, die sich mit 7-11 jährigen an ein solches Projekt wagt und qualitativ hervorragend sein. Dem hatte sich Freizeit, Schlaf und vielleicht auch die Vernunft unterzuordnen – (der Rücken und die Nackenschmerzen seien hier der Vollständigkeit halber aufgeführt).

Die Woche war denn auch ein voller Erfolg. Am Besuchstag war unser Zimmer mit Eltern überfüllt, die sich von ihren Sprösslingen das Surfen erklären liessen.

Öffentliche Reaktionen

Die regionale Presse wie Basellandschaftliche Zeitung und Basler Zeitung, sowie später auch BLICK online haben über uns geschrieben. Der BLICK wollte auch eine Reportage über uns in ihr Printmedium bringen. Da gleichzeitig auch die NZZ Interesse anmeldete, bekam ich einen Zielkonflikt. Wollte ich grosse Bekanntheit durch ein Boulevardblatt, seriöse Berichterstattung in der NZZ oder einfach meine Ruhe. Ich habe mich für letzteres entschieden. Dabei blieb es bis heute auch, eine Ausnahme bildet die aktuelle Nummer von INTERFACE. Daneben fallen kleinere und grössere Referate über diese Arbeit an.

 


blickbild.gif (5064 Byte)vom 21. Aug. 98
internet5.jpg (20641 Byte)
Kids im Netz

Kinder überholen die
Erwachsenen mit links:
Internet ist für Primarschüler
längst kein Fremdwort mehr.
Eindrücklich stellt dies die
«Gestadeck»-Schule in Liestal unter Beweis:
Sie bietet ihren Zöglingen unter anderem
einen Internet-Kurs an. Ziel: «Mit
Digital-Kamera und Notizblock gehen wir auf
Reportage.» Entsprechend sehenswert ist
die liebevoll gestaltete Homepage der
Schüler. Staunen ist erlaubt.

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Basler Zeitung vom 16.6.98


H.P. Meier, Erziehungsrat und Internetfan

Herzliche Gratulation zu Eurer Arbeit.
Es ist toll, dass Ihr den Versuch gewagt habt
- nur weiter so !
Viel Erfolg bei Eurer Arbeit wünscht Euch
H.P. Meier

AUS: WWW.GESTADECK.FORCE.CH/feedback.htm

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Einige Dutzend weiterer Feedbacks haben wir auf unserer Seite veröffentlicht. Das Spektrum reicht vom Landwirt aus Ohio, über einen Computerfachmann aus New York, bis zum Schüler einer Nachbargemeinde.

 

Die Behörden reagierten teilweise. Die Schulpflege hat sich sehr positiv geäussert, unsere Erziehungsdirektion hat sich trotz zweifacher Einladung dazu nicht vernehmen lassen. Dieses Schweigen will ich nicht interpretieren. Ich nehme an, es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die nötige Sensibilität für diese Wirklichkeit auch für die Primarstufe entwickelt hat. Zudem waren 1997 solche Ideen eher exotischer Natur.

 

Einige Referate waren bis jetzt eine Folge dieses Internetauftritts, so u.a. an einer Veranstaltung der netdays98. Weitere Anfragen liegen vor.

Die Einbindung in den Unterricht

Die Einbindung in den normalen Unterricht sehe ich partiell als sinnvoll. Eigene Texte zu Erlebnissen können getippt und ins Netz gestellt werden. Schüler freuen sich, ihre Bilder und Texte im Netz wiederzufinden. Auch der Austausch mit anderen Klassen im Ausland lief bei mir an. Eine Klasse aus Deutschland ist dank ihrer surfenden Lehrerin auf uns aufmerksam geworden. Jetzt hat sich ein reger konventioneller Briefverkehr daraus entwickelt.

Internet auf der Primarschulstufe?

Der grosse Wert des Mediums liegt darin, selber aktiv zu werden und sich mitzuteilen. Einen passiven Einsatz sehe ich in meinem Unterricht nicht. Wird ein Vortrag erstellt, dann lohnt ein Blick ins Internet, zum Teil auch für Bildmaterial. Surfende Primarschüler, die an zweifelhaften Seiten hängen bleiben, sind für mich nicht anzustreben.

Gefahren

Problematisch sind die Surfer, die speziell Kinderseiten aufsuchen. Ein Anrufer hat sich bei mehreren Kindern immer wieder telefonisch gemeldet, welche ihre persönlichen Albums ins Netz gestellt hatten. Eine Konsequenz daraus war, dass ich umgehend alle Adressen und Hinweise auf die Identität der Schüler löschen musste.

Internet ist aber nicht gut oder schlecht! (Die Welt ist auch nicht schwarz oder weiss.)

So wie ich meinen Kindern nicht den Rat gebe: Hier ist der Rhein, schwimm mal! Da steht ein Fernseher, schau mal, so werde ich nicht sagen: Hier ist das Internet, surf mal. ... Die Verantwortung der guten Nutzung liegt nicht bei den Kindern, sondern bei uns Erwachsenen. Verschlafen wir nicht die Chancen.

Aus: www.gestadeck.force.ch/gefahren.htm

Durch Ignorieren haben Pädagogen weder Fernsehen noch GameBoy verhindert. Setzen wir die richtigen Pfähle ein, damit das Medium in seinen Kindheitsjahren positiv geprägt wird und unsere Kinder lernen, damit sinnvoll umzugehen.

Netdays99

An den Netdays99 werde ich unser Klassenzimmer öffnen, unser Projekt vertiefter vorstellen und zur Homepage wie dem Projekt Red und Antwort stehen. Die Details sind rechtzeitig im Netz zu erfahren.

 


Dieses Jahr hatten wir wieder eine Projektwoche. Ich bot übrigens einen Kurs mit dem Thema: „Höhlenforschen“ an. Dies als kleiner Hinweis, auch im Bereich Internet nicht missionarisch einseitig zu werden...

Andreas Saladin, asaladin@dplanet.ch